Als ich gestern Abend auf einer Veranstaltung den guten alten Klassiker „Yesterday“ im Rudelsingen laut mitschmetterte, wurden meine Augen bei der Zeile „I said something wrong …“ leicht feucht. Ja, das Lied hat etwas Melancholisches an sich, aber vielmehr hat es mich „yesterday“ daran erinnert, dass viele Menschen einfach weglaufen, wenn ihnen etwas „nicht mehr in den Kram“ passt …
Wir scheinen heutzutage in vielen Dingen alle Meister im Loslassen zu sein. Was eben noch gut und richtig war, ist auf einmal nichts mehr wert. Manchmal reicht dafür schon „ein falsches Wort“ oder „eine unangemessene Reaktion“ aus, um die Beziehung auszusortieren und sich wortlos davonzuschleichen.
Die Dinge wirklich einmal beim Namen zu nennen, das ehrlich anzusprechen, was uns am anderen stört, was uns verletzt oder geärgert hat, gemeinsam zu schauen, warum es gerade brennt, ist – so ist meine Erfahrung – nur selten möglich. Genauso, wie Kleidungsstücke einfach aussortiert werden, wenn sie nicht mehr passen oder gefallen, stelle ich immer wieder fest, dass es mit Beziehungen (egal in welcher Konstellation) auch gerne so gehandhabt wird.
Da macht oder tut man etwas, was den anderen antriggert und auf einmal hört und sieht man nichts mehr von der Person. Oder auch anders herum: es triggert mich etwas und ich möchte es klären, aber es ist ganz oft nicht möglich und das, obwohl ich sage, dass das mein Thema ist, ich aber gerne mal aufdröseln möchte … “ Kurz, wenn es irgendwie – von welcher Seite auch immer – anfängt zu brennen, sind viele Menschen nicht in der Lage – das auszuhalten und zu schauen, wo genau der Brandherd herkommt …
Keine Ahnung, ob da gerade auf Facebook wieder der obligatorische Pseudo-spirituelle Rat, das „Loszulassen, was dich runterzieht, was dir nicht guttut (…)“ rumging – und schwups: weg damit. Passt ja auch prima in die heutige Wegwerfgesellschaft, an der nächsten Ecke wartet sicher auch schon jemand, der gerade besser ins Konzept passt …
Das jedenfalls verstehe ich nicht unter Loslassen, das würde ich als Wegrennen und Wegschauen bezeichnen. Wir alle sind irgendwo ganz tief in uns verletzte Kinder. Um die Verletzungen zu heilen, wird es nicht helfen, immer wieder wegzulaufen.
Auch zu diesem Thema passen so wunderbar die Worte von Yehuda Berg: „Verletzte Menschen verletzen Menschen. So werden Schmerz-Muster von Generation zu Generation weitergegeben. Durchbrich jetzt diesen Kreislauf! Begegne Ärger mit Sympathie, Verachtung mit Mitgefühl, Hass mit Liebe, Grausamkeit mit Freundlichkeit. Begrüße düstere Gesichter mit einem Lächeln. Vergib und höre auf, Schuld zu suchen. Liebe ist die »Waffe« der Zukunft“
Wir alle habe unsere Muster und Trigger und ich würde mir wünschen, dass es häufiger möglich wäre, auch mal gemeinsam im Feuer zu stehen, die Schmerzen liebevoll und mitfühlend zu spüren – das einfach mal auszuhalten, auch wenn es verdammt nochmal unangenehm ist und wehtut. Aber das Stehen im Feuer ermöglich nicht nur Schmerz, sondern echte Heilung. Und es ist Satya – Wahrhaftigkeit!
Das Wegrennen mag zunächst Erleichertung verschaffen, aber eben nur bis zum nächsten Mal. Denn – und das ist sicher – solange wir unseren Dämonen nicht ins Auge blicken und sie annehmen können, kommen sie wieder und immer wieder. Mal in dieser oder jenen Gestalt. Aber sie kommen wieder.
Eine Beziehung / Freundschaft, die das Feuer nicht aushält, in der es nicht möglich ist, dem Dämon ins Auge zu schauen, offen, ehrlich, nackt – bleibt an der Oberfläche, dringt nicht tief. Hat nichts mit Liebe zu tun …, nichts mit Mut, ist unehrlich und basiert auf einer großen Lüge.
Was ich sehe, ist unglaublich viel Angst. Und Angst ist immer ein Rückschritt – ein sich Zurückziehen in die Komfortzone, wo es vermeintlich ach so sicher ist, eine Flucht vor den Dämonen.
Ich wünsche uns allen den Mut und die Kraft, alleine aber auch gemeinsam mitfühlend im Feuer stehend den Dämonen ins Gesicht schauen zu können, damit sie irgendwann ihren Schrecken verlieren <3.
Bis bald und Namasté!
P.S. Wie immer freue ich mich über ein Feedback und deine Meinung, auch wenn es nicht meine Meinung ist <3!
Und ich meine hiermit natürlich keine Beziehungen, die ganz offensichtlich verletzend und gewaltätig sind. Und ja, es gibt sicherlich so genannte „Energieräuber“, aber wenn sie Freunde waren, dann sollte es auch möglich sein, sich das Thema anzuschauen. Natürlich geht man nicht immer gemeinsam aus dem Feuer raus, aber dennoch um eine wertvolle Erfahrung reicher!
6 Comments
Susann
Und wenn Liebe beinhaltet, dass auch Wut sein darf, weil sie auf positive Weise für Klarheit und gesunde Grenzen sorgen kann, bin ich sehr einverstanden
Susann
Danke für deinen Artikel, Kerstin. Ich halte seit Jahren dagegen, wenn jemand sagt: Du musst nur loslassen. Müssen erzeugt Widerstand und wie loslassen von inneren Themen geht, kann eigentlich bisher niemand befriedigend beantworten. Es führt nach meiner Erfahrung tatsächlich mehr in einen Zustand der Gleichgültigkeit im negativen Sinne, also Verdrängung
Katrin
Andererseits hat mich eine Freundin in so einer Situation mal gefragt: „Möchtest du die Energie überhaupt noch hineinstecken?“ und manchmal kann ich ganz klar sagen: Nein! So traurig es auch ist, aber manchmal trennen sich Wege einfach. Das tut weh. Aber die Frage ist immer, wie viel Drama man dann noch reinsteckt. Also ich kämpfe noch, den richtigen Weg für mich zu finden.
Katrin
Ehrlich gesagt bin ich auch jemand, der sich zurückzieht. Ich frage mich gerade, ob die Gründe, die du nennst dahinter stecken könnten. Für mich ist es -gefühlt zumindest- vor allem Selbstschutz. Ja, vielleicht ist es das doch. Wut, Ärger, Enttäuschung, verletzte Gefühle nicht haben wollen und dann aus der Situation flüchten und demjenigen, der das ausgelöst hat, aus dem Weg gehen.
Sandra
Was ein toller Beitrag liebe Kerstin <3
Kerstin Klimenta
Danke <3!